Memento Mori
Ein Werk und Gespräch von Marie S. Ueltzen

im Rahmen der Reihe BY THE WAY anlässlich des 2. Randlage Artfestivals "Wahlverwandtschaften"

von Volker Schwennen

Memento Mori ist ein 3 Meter breiter und 2 Meter hoher Wandteppich, den Marie S. Ueltzen 2011 schuf. Zu sehen sind ein riesiges Mammut, verhüllt von einer Decke, auf welcher ein rotes Kreuz prangt, und eine kleine, an den Bildrand gedrängte, mit herabhängenden Armen wahrscheinlich vor Erschöpfung zusammengeknickte Person. Zwischen beiden steht eine kleine Sauerstoffflasche, die über einen Schlauch mit einer noch kleineren Maske zum Inhalieren mit dem Ende des Rüssels verbunden ist. Der Titel „Memento mori“ ist ein lateinischer Ausdruck und bedeutet „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“ oder auch „Bedenke, dass du sterblich bist“.

Ueltzen beschäftigt sich in manchen ihrer Werke mit tradierten Mustern unserer Gesellschaft und auch hier mag es ihr vornehmlich um Traditionen gehen, welche immer wieder mühselig am Leben gehalten werden. Eine Mammutaufgabe also, welche nur selten von Erfolg gekrönt ist, weil rückwärtsgewand und somit eigentlich hoffnungslos.

Dieses Werk bildete den zentralen Ausgangspunkt für eine Veranstatung der internen Reihe „BY THE WAY: Gespräche und Darbietugen über Kunst+Leben“ der Galerie KW/Randlage während des 2. Randlage Artfestivals. Auch wurden im Laufe der Zeit Werke anderer Künstler:innen in den Kontext dieser Zusammenkünfte gesetzt. Manche Werke konnten vor Ort im Original betrachtet werden, andere wurden als Abbildung gezeigt. Diese Foren fanden jeweils im kleinen Kreis mit geladenen Gästen statt und wurden weitestgehend nicht dokumentiert, dennoch geben wir hier exemplarisch nur einige Gedanken zu „Memento Mori“ wieder.

Das rote Kreuz auf der Decke mag zunächst ein Hinweis auf ein krankes Mammut sein, welches noch mittels einer kleinen Sauerstoffflasche beatmet werden kann, um es am Leben zu erhalten – eine Mammutaufgabe, wie noch heute besonders schwere Herausforderungen oder besonders umfangreiche, schwierige Aufgaben bezeichnet werden. Die vor 4000 Jahren ausgestorbene Gattung der Elefanten – einer vor 6,7 Millionen Jahren stattgefundenen Abspaltung von asiatischen Elefanten –, lebte in der Steppe kalter Regionen und ernährte sich vorwiegend von nahrhaften Kräutern. Vor allem durch entdeckte Höhlenmalereien wissen wir heute, dass Knochen und Elfenbein der Mammute den seinerzeit lebenden Menschen als Materialressourcen dienten, diese Tiere aber auch getötet und verzehrt wurden.

Zehn Jahre nach Entstehung dieses Werkes planen nun Wissenschaftler:innen mittels modernster Gentechnik die Wiederbelebung des Mammuts und deren Ansiedlung in der sibirischen Tundra in Russland – um den Klimawandel zu stoppen. Hinter diesem Plan steht das biotechnische Unternehmen „Colossal“(1), welches mittels Erbinformationen von Elefanten das Mammut neu erschaffen möchte. So soll bis 2027 quasi ein Hybrid aus Elefant und Mammut entstehen. Diese Tiere sollen dafür sorgen, dass die Permafrostböden dieser Gegend nicht tauen und somit das durch den Klimawandel stark ins Schwanken geratene Ökosystem erneuern. Denn unter den Eisschichten sind bis zu 1600 Milliarden Tonnen gefährliche Treibhausgase eingeschlossen(2), welche zu einer Bedrohung des gesamten Klimas in der Welt werden, falls das Eis noch mehr oder gänzlich schmilzt.

Nun sollen kälteunempfindliche Mammute also durch die Gegend wandern und nach Nahrung suchen, damit die Schneedecke unter ihren Füßen dünner wird und der Winterfrost auf diese Weise tiefer in den Boden eindringen kann, um den Permafrost zu erhalten. Ebenfalls eine Mammutaufgabe – oder nur eine irreale Idee? Denn es bedarf einer riesigen Menge von Mammuten, um nur ein paar lokale Effekte erzielen zu können – das Klima würde dieses Experiment nicht retten, sind sich andere Wissenschaftler:innen einig.(3)  Die Milliarden von Euro oder Dollar, die ein solches Experiment verschlingen würde, wären anders wahrscheinlich besser angelegt. Da uns aber diese verschwundenen zotteligen Schwergewichte schon immer fasziniert haben, wollen wir an den Erfolg einer Wiederbelebung dieser Tiere glauben.

Und so ist es auch mit vielen Traditionen, die durch unsere sich fortlaufend verändernde Zeit kaum oder keine echte Berechtigung mehr haben, eigentlich längst ausgestorben sind, aber weiterhin aufrecht erhalten werden sollen – koste es, was es wolle. Und so passiert es auch in manchen Ortschaften, welche ihre längst gestorbenen „damaligen“ Kulturträger:innen lediglich immer wieder neu beleben, und die heutigen dort lebenden Entscheidungsträger nicht verstehen wollen, dass deren Zeit natürlich längst vorbei ist, beziehungsweise dessen Narrativ einer Neuinterpretation bedarf. Nur stetige Entwicklung ist Leben und wer die Zeichen der Zeit erkennt, kann durchaus neue Impulse setzen und sich gerne an Traditionellem orientieren, sollte Letzterem aber nur noch einen kleinen, bescheidenen Platz reservieren – immerhin noch einen solchen.

2019 gelang es japanischen Wissenschaftler:innen, Zellkerne aus dem Muskelgewebe einer 28000 Jahre alten Mammutmumie in die Eizellen von Mäusen zu injizieren, woraufhin sich biologische Aktivität zeigte.(4) Anders als die japanischen Forscher:innen wollen die amerikanischen mittels der Gen-Schere bestimmte Mammutgene in die DNA von asiatischen Elefanten einpflanzen, deren DNA bereits zu über 99 Prozent mit der des Mammuts übereinstimmt, um diese vor Kälte zu schützen.

Dass nun ein Startup wie „Colossal“ von dieser Idee begeistert ist, mag nicht verwundern, dennoch bezweifeln andere Wissenschaftler:innen das Experiment. Denen zufolge müssten sich selbst bei „nur“ 0,4 Prozent DNA-Unterschied Millionen von Positionen finden, die man im Genom verändern müsse, meint beispielsweise Johannes Krause, Paläogenetiker und Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.(5) Wegen der langen Generationszeit von Elefanten, also des durchschnittlichen Alters bei der Fortpflanzung, wäre eine Züchtung von mehreren Elefantengenerationen mit veränderten Genen notwendig. Neben rein „technischen“ Schwierigkeiten stellt sich vordergründig die Frage, weshalb ein ausgestorbenes Tier wiederbelebt werden solle, dessen Lebensraum sich über 4000 Jahre nicht nur verändert habe, sondern sogar überhaupt nicht mehr existiert. Wo es früher Steppen und Graslandschaften gab, finden sich heute Wälder und Sümpfe. Kritisch ist bei derartigen Forschungsprojekten auch die Perspektive derer, die eine solche Arbeit unterstützen oder fördern. So förderte der umstrittene Milliardär Peter Thiel(6) das Projekt bereits im Vorfeld. Thiel steht für Libertarismus, einer Philosophie, welche persönliche Freiheit über staatlichen Einfluss stellt, aber den freien Markt ablehnt, da ein solcher Profite senke. Vielmehr kämpft er für Monopole, also für dominate und marktbeherrschende Stellungen insbesondere für Technologiekonzerne, und so steht Thiel als Ideengeber für das Silicon Valley.(7)  

In der Reihe BY THE WAY entstehen immer wieder Diskussionen, die schon mal ausufern können (dürfen und sollen). Dennoch stand in diesem Falle immer das Bild „Memento Mori“ von Marie S. Ueltzen im Mittelpunkt, welches nach zehn Jahren unter der Covid-Pandemie eine weitere Aktualität erlangt, denn gerade die Beatmung spielt bei der Rettung infizierter Menschen eine große Rolle. Bei der Bekämpfung von Corona, weiteren zukünftigen Pandemien oder des Klimawandels stehen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft vor einer Mammutaufgabe.


Dieser Text ist erschienen in "Wahlverwandtschaften" / Volker Schwennen / Wohlfein Verlag KW/Randlage Edition, ISBN 978-3-980-75556-6 - jetzt bestellen


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Quellen

(1) Das Biotech-Unternehmen Colossal stellt 15 Millionen US-Dollar Startkapital und 19 Vollzeitmitarbeiter zur Verfügung. https://www.businessinsider.de/wissenschaft/harvard-genetiker-will-wollhaarmammut-wiederbeleben/ Zuletzt abgerufen 28.01.22

(2) Höhere Treibhausgasemissionen durch schnelles Auftauen des Permafrostes. Forschende zeigen in Studie, dass ein abruptes Tauen die Emissionen um 40 Prozent steigert. 18.2.20, Alfred-Wegener-Insitut / Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/presse-detailansicht/hoehere-treibhausgasemissionen-durch-schnelles-auftauen-des-permafrostes.html, zuletzt abgerufen 28.01.22

(3) Andreas Richter, Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften der Universität Wien: „Die Ansiedelung von Großsäugetieren kann durchaus einen positiven Effekt auf den Erhalt der Permafrostböden haben“, erklärt er, gibt aber zu bedenken: „Das mit den Mammuts ist eine nette Geschichte, aber keine Lösung, um die Temperaturerhöhung in der Arktis zu stoppen. Man ist sich den Dimensionen nicht bewusst. Wir sprechen hier von einer Fläche von über 22 Millionen Quadratkilometern. Da ist es mit einigen wenigen Großsäugetieren nicht getan.“ https://futurezone.at/science/rueckkehr-mammuts-klimawandel-auferstehung-permafrost/401767332, zuletzt abgerufen 28.01.22

(4) vgl. „Scientific Reports, 11.3.19, https://www.nature.com/articles/s41598-019-40546-1, zuletzt abgerufen 28.01.22

(5) vgl. Beitrag aus Nationalgeographic vom 10.01.22, https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/12/die-rueckkehr-der-mammuts, zuletzt abgerufen 28.01.22

(6) Peter Thiel: Ein Idol fürs Monopol, Beitrag von Alexander Fanta Netpolitik.org. https://netzpolitik.org/2021/peter-thiel-ein-idol-fuers-monopol/ zuletzt abgerufen 28.01.22. Derzeit investiert Thiel in den Anbau von Cannabis.

(7) Der Investor Thiel ist nicht nur ein Trump-Freund, sondern weltweit gut vernetzt. Im Dezember 2021 wurde bekannt, dass der zurückgetretene österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz als „Global Strategist“ für Thiel arbeiten wird; siehe Süddeutsche Zeitung, 30.12.21, Beitrag von Alexandra Föderl-Schmid.

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