Es gibt viele Einzelne, die sich auf manches verteilen, sich vermengen lassen und immer wieder vereinzeln können. Eine Menge mit mehreren Einzelnen kann sich mit einer oder mehreren anderen Mengen überschneiden. Es gibt Gründe für die Vermengung. Es gibt viele Vermengungen. Ob als Mensch, als Objekt, als Meinung – alles lässt sind irgendwie mit irgendetwas zusammenfassen und eine Menge bilden. Indem wir zu unterschiedlichsten Schnittmengen gehören, bleiben wir dennoch einzigartig. Wir sind Axiome, bedürfen vordergründig also keines Beweises unserer Einzigartigkeit. Oder unserer Existenz.
Mengen sind gebildete Beziehungen. Jede Schnittmenge hat einen Inhalt. Und jede Äußerung enthält eine Aussage über die Beziehung zu jemandem oder etwas. Jede Aussage oder jedes Verhalten lässt sich mit anderen zusammenfassen und bilden ein Gefüge. Eine Aussage oder ein Verhalten kann dazu führen, dass wir wieder aus einem Gefüge hinausgeworfen werden können. Worte, geformt zu Sätzen, haben unterschiedliche Bedeutungen, wenn wir auch den Kontext mit einbeziehen. Wir setzen uns vielen Reizen aus, auf welche eine Reaktion folgt. Und Reaktion ist Verhalten.
Kommunizieren wir miteinander, so gibt es lediglich einen Gesprächsbeginn, doch die eigentliche Kommunikation hat bereits früher begonnen und somit keinen Anfangspunkt. Unser eigenes angeeignetes Wissen bildet Wissenshaufen, welche unterschiedlichster Natur sein können. Ein Argument kann für das eine oder das andere stehen. Wir bilden einen Kreis um unser Wissen und fügen uns notgedrungen oder eben wissentlich in ein Muster. Wir bilden Schnittmengen aus unserem fragmentarischen Wissen. Manchmal stellen wir logische Verknüpfungen her, drücken diese auf eigene Art und Weise aus. Eine andere Person tut dies ebenso, kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. So entsteht eine neue Schnittmenge, welche wiederum weitere Aspekte aufnimmt.
Sympathie und Verachtung können zu Fehlinterpretationen führen. Beziehungen sind abhängig von Gleich- und Ungleichgewichten. Schnittmengen spiegeln etwas Bestimmtes oder Unbestimmtes. Schnittmengen sind kleine oder große Systeme. In solchen können wir uns frei bewegen, können in ihnen wachsen, in solchen können wir uns vernetzen, verzetteln oder gefangen fühlen – dennoch können wir sie immer mal wieder verlassen. Alles ist irgendwie miteinander verflochten. Unendlich. Mal steht das eine im Dienste des anderen. Beziehungen stellen Machtgefüge und Machtverhältnisse dar. Betrachten wir das eine, müssen wir nicht das andere anschauen, können es aber.
In ihrer Werkreihe „Intersection“ gleich „Schnittmenge“ geht Marie S. Ueltzen den Beziehungen auf den Grund und bildet solche ab. Farbig gestickte Punkte verteilen sich über eine Fläche. Alle sind von ebenfalls gestickten schwarzen Linien im Muster von Schnittmengen umrandet oder zusammengefügt. Nicht ein Punkt bleibt alleine, wenngleich auch schon mal einzelne Punkte selbst eine Menge außerhalb eines Schnittmengengeflechts bilden. Auch gibt es Schnittmengen, die eigentlich keine sind oder solche, die leer bleiben. Mal liegen die Punkte eng aneinander, mal weit auseinander.
Die Farben geben keinen Aufschluss über deren Bedeutung und auch sonst lassen sich nur schwerlich logische Beziehungen zwischen den einzelnen Punkten und ihrer Zusammenfassung zu unterschiedlichen Schnittmengen herstellen. Eine aufgestempelte Zahl kann ein Datum oder eine Ordnungsnummer, kann willkürlich gewählt oder bewusst gesetzt worden sein. Als Betrachtende können wir kaum erahnen, was die Zahl oder vor allem die farbigen Punkte darstellen, noch erschließt sich uns die jeweilige Schnittmenge. Ist an einem bestimmten Tag etwas besonderes passiert? Haben diese Punkte überhaupt eine Bedeutung? Stehen diese Punkte tatsächlich in einer Beziehung zueinander? Wieso sollten welche Teil einer Schnittmenge sein?
Marie S. Ueltzen geht es in ihrer Bildreihe um Beziehungen zu- und miteinander, welche nicht immer eindeutig sind, weil tatsächliche Bezugspunkte und Definitionen fehlen. Sie behauptet also Schnittmengen. Stellt man diese Arbeit in den Kontext einiger ihrer anderen Werkreihen, wird deutlich, dass ihre künstlerische Auseinandersetzung vielfältig um tradierte Muster in unserer Gesellschaft als auch die in unseren Beziehungen kreist. So macht sie sich manchmal selbst zum Mittelpunkt und bildet sich scheinbar selbst und ihre eigene Geschichte, beziehungsweise die Wahrnehmung oder Interpretation einer Situation ab. Sie ist nie das Opfer, sondern stets eine sich selbst Befreiende. In der Werkreihe der „Schnittmengen“ verschwindet die Künstlerin ebenfalls nicht ganz, denn sie ist es doch, die angeblich klare Konstellationen zusammenstellt.
Die kleineren Arbeiten von ca. 25 x 15 cm gipfeln in einem vier Quadratmeter großen Werk, auf welchem die Punkte, die Linien, die Schnittmengen ein eigenes Gebilde darstellen, welches sich in einem dunklen, fast schwarzen Raum bewegt, umgeben von einem kreisförmigen hellleuchtenden Kranz, der diesem Gebilde eine gewisse Strahlkraft verleiht. Eine Korona also, welche den Strahlenkranz der Sonne und des Mondes beschreibt. Während die kleineren „Schnittmengen“ bereits 2019 entstanden sind, wurde das größere Werk während einer mehrmonatigen Produktionszeit gerade in dem Monat fertiggestellt, als die Coranakrise unser Leben stark zu beeinträchtigen begann. Der soziale Kontakt wird massiv eingeschränkt, Beziehungen auf eine Probe gestellt. So ist „Intersection“ auch ein vorweggenommenes Statement zu dem, was uns die Zukunft bringen wird. Neue Gedanken und Ideen können nun tradierte Verhaltensmuster und Systeme verändern oder gar ablösen. So sind ihre Arbeiten von der Hoffnung beseelt, neue Schnittmengen für ein besseres Miteinander entstehen zu lassen. Lösungen und Bezugspunkte hierfür gibt es in der realen Welt genügend, es kommt nur darauf an, sie richtig zu interpretieren.