Erstickungen

Katalogtext anlässlich einer Ausstellung in der Galerie im Medienhaven, Bremen
von Volker Schwennen

Es sind hintergründige, zumeist mehrdeutige, schicksalsverbundene Geschichten, die Marie S. Ueltzen in ihren Bildteppichen erzählt. Sie könnte diese Geschichten auch malen, so wie sie es zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn tat, indem sie im ersten Moment freundliche, gar naive Bildern schuf, die sich beim zweiten Blick immer mit einem Augenzwinkern mit den Abgründen und Tiefen der menschlichen Seele beschäftigten: Zwei Krankenschwestern halten ein neugeborenes Hündchen in ihren Händen, die eine lächelt milde, die andere streckt angewidert die Zunge heraus. Im Hintergrund eine Frau mit gespreizten Beinen und Blut am Oberschenkel - eine Kreißsaal- Szene.

Ein anderes Bild zeigt einen Mann in weißem Kittel, der drei kleine Pinguine, wunderbar garniert, auf einem Tablett vorzeigt – Bildtitel: „Pinguinschlachter“. Ein Paar an einem Frühstückstisch sitzt völlig unbeteiligt da, wie betäubt, während draußen vor dem Fenster eine halbnackte Frau herunterstürzt. Ein Paar in harmonischer Isolation, während draußen das Leben tobt – Sex and Crime. 

Ein versoffener Matrose mit geöffneter Hose, im Arm eine Gummipuppe, deren Vagina einem Rettungsring gleicht. Auf einem Bild wird vordergründig ein glückliches Pärchen auf einem Schiff gezeigt, sie mit Blumen im Arm – ein Schnappschuss einer Hochzeitsreise vielleicht. Dann folgt man den Blicken des Mannes, der nach hinten schaut, während der Rauch aus dem Schlund eines Dampfers und die vorbeiziehenden Wolken als nackte weibliche Körper erscheinen. Der Blick der Frau schielt heimlich zu einem überdimensionalen Rettungsreifen. Ist dies bereits die Vorahnung dessen, was nicht gelingen mag?


Pinguinschlachter

Die Teppiche werden gestickt.

Und somit setzt sich die Künstlerin mit ihren Motiven, ihren Erzählungen eine weitaus längere und intensivere Zeit auseinander, als wenn sie diese gemalt hätte. Die Wirkung der „gemalten“ Bilder wird in den Teppichen um ein Vielfaches verstärkt, denn nun gibt Marie S. Ueltzen den dargestellten Einzelepisoden des Lebens eine höhere Bedeutung, verleiht ihnen Kraft, Erhabenheit und Wert.

Man könnte meinen, dass sie die Themen vorwiegend aus dem eigenen Leben greift, immer scheint sie selbst es zu sein, die sich in ihren Bildern darstellt. * Auf ihrem ersten Bildteppich "Der Tod und ich" von 2004 beschäftigt sie sich mit der Lust und dem Tod. Eine Frau hat sich selbst aufgebahrt, während sich der Tod lüstern mit langer ausgestreckter Zunge an sie heranmachen will. Die Hoffnung schwingt mit, dass der Tod sie verschonen werde, weil sie ihn täuschen könne, da sie sich bereits totgestellt hat. Dennoch beobachtet sie alles mit einem geöffneten Auge. Der Tod kommt nicht über sie, sondern legt sich eher wie ein schützendes Bett unter sie, gibt ihr den Halt zu liegen, gar zu leben. Und der treue Hund – ein ständig wiederkehrendes Motiv in ihren Bildern – wedelt vor der Aufgebahrten mit dem Schwanz und weiß, dass sein „Frauchen“ nicht gestorben ist. Der Gefährte verrät sie. Rundherum blüht das pralle Leben, symbolisiert durch dicke Äpfel, die draußen reif und üppig am Baum hängen. Viele Stecker an langen Kabeln schwingen sich in die Lüfte und suchen ihre Dosen – dahinter mag sich all die Energie des Lebens, all die Kraft verbergen, die nach den passenden Polen sucht, um Wirkung zu zeigen. *

Ein Jahr später stickt Marie S. Ueltzen ein Bild mit einem kleinen, buckligen, in sich zusammengesunkenen Mann, der sich im Zwiegespräch mit einer Handpuppe - gleich seinem Alter ego - befindet. Der Mann glaubt diese Puppe zu beherrschen, doch die Puppe hat schon lange Besitz von ihm ergriffen. Es sind die Zweifel, die innere Zerrissenheit, die Einsamkeit dieses Menschen, an der er zu ersticken droht.

Mit der lateinischen Bildbezeichnung "Oportet est mala herba " und der erklärenden Übersetzung "Muss ist ein schlimmes Kraut", bekommt das Bild zudem etwas pseudo-akademisch-psychologisches. Während der Mann so viel Unverarbeitetes, so viele Ä ngste, Wünsche und Träume wie einen schweren Rucksack in Form eines kräftigen Buckels bis in sein Erwachsenenleben mitschleppt, verliert er den Sinn für die Realität. Seine gummihaften Beine können ihn nicht aufrichten. Dennoch braucht diese Person das gleichermaßen auch seine Umwelt zerstörende, zermürbende Zwiegespräch mit sich selbst. Nur dies gibt ihm noch Halt, wie das grobmaschige Netz, auf welchem er kauert, während seine Träume wie Vulkane kurz vor dem Ausbruch als eine an die Wand gekleisterte Tapete sein Leben noch weiter lähmen.

Wie ein Gegenentwurf erscheint nun der langgestreckte Wandteppich Omnia mutantur, nihil interit - Alles verändert sich, nichts kommt um. Ein Zitat aus den Metamorphosen des Ovid, welches zu den Leitmotiven des Schaffens und Lebens der Künstlerin mutierte. Eine Frau im Fluss, dahinschwimmend. Auch wenn sie glaubt, dass all die bis dahin lebenswichtigen Inhalte ihres Lebens sich aufgelöst haben, schwimmt sie weiter – trotz aller schmerzhaften Veränderungen und Verluste. Alles verändert sich zwar, dennoch bleibt alles – nur die Form wandelt sich, der Umgang mit den Umständen. Man kann den Schmerz überwinden, weil alles noch da ist, denn man findet sich nur in einem anderen Verhältnis zu dem Vergangenen wieder.

Den Verlust, das Ende einer manifestierten Beziehung, die Zeit bis zur offiziellen Trennung thematisiert Ueltzen in ihrem Bild Santa Medusa – Schutzheilige der dauernd getrennt Lebenden. Sie zeigt eine schöne Frau in einem wehenden Mantel in Hoffnung verheißender grüner Farbe. Darunter ist sie nackt, doch nicht mehr verletzlich, sondern aufreizend und verführerisch. Ihre roten Lippen mit der Kippe im Mundwinkel haben etwas Verruchtes, während der Blick ihrer Augen Traurigkeit offenbart. Nun trägt sie ihre Verletzlichkeit sogar in Form einer verbundenen Hand zur Schau.

Gestalt der griechischen Mythologie, die sich wie ein Ungeheuer zu schützen weiß. Wer sie begehrt, wer ihr zu nahe kommt, wird zurückschrecken vor ihrem tiefen Leid, droht doch bei Ansicht die Versteinerung. Ueltzen beschäftigt sich hier auf eigene Weise mit einer Zwischenwelt, einer Zeit der Entscheidungen, des „Dauernd-getrennt-lebend“, jener aufgezwungenen Phase bis zur offiziellen Trennung mit dem vermeintlichen Lebenspartner. 

Die Frau wird unnahbar, lässt niemanden an sich heran, wird missverstanden, erfährt Ablehnung oder Zustimmung, ist hinund hergerissen von Schuldkomplexen und Freude über das Ende, von Sehnsucht nach einem neuen Leben und Befreiung von der Last des Vergangenen. Sie befindet sich in einer Dunstwolke, fühlt sich allein und anonym, was die Hochhäuser zum Ausdruck bringen. Der Tod ist ihr ständiger Begleiter: Ein kleiner Sarg unter dem Arm, hier mag sie gar ihren treuen Gefährten, den Hund, eingeschlossen haben, der jedoch aus der Isolation noch immer freudig wedelt. In der Tasche ein Baguette und Obst, welche Lust und Genuss zeigen. 


Nach all dem Abgründigen wirkt das Bild Mein Ring fast wie ein Finale. Die auf immer und ewig angelegte Verbindung, sie ist gescheitert. Der Ring ist ab. Eine Frau, auf dem Boden sitzend, mit traurigem Gesichtsausdruck, den Kopf von einer Hand gestützt, mit ausgebreiteten Beinen, die mit halterlosen Strümpfen bekleidet sind, einem Rock, der ihre Scham verdeckt und einem Hündchen, das sie wieder als treuen Weggefährten in ihrem Arm hält. Vor ihr liegt ein kleiner Ring, der die vergangene Verbundenheit zu einer Person ausdrückt. Das Ende scheint erreicht: keine Angst mehr vorm alten Ungeheuer, sondern Ausbreitung von Ruhe und stiller Melancholie, aus der neue Kraft erwachsen kann. Etwas ist vorbei, etwas Neues wird beginnen.

Und so schließt sich das Motiv Freie Fahrt an. Völlig nackt will (oder muss) eine Frau im Schneegestöber eine Abfahrt hinunterfahren – auf Skibrettern ohne die Fahrt regulierenden Stöcke, eine Halterung des einen Brettes ist sogar defekt, über den Kopf eine Papiertüte gezogen. Ist sie nun frei? Oder versteckt sie sich nur? Ist sie einfach nur übermütig, gar todesmutig? Die Krücken, die Zweifel, das Leid - all das scheint fortgeworfen zu sein. Ganz gleich, wie kalt es ist und lebensgefährlich es werden mag – sie fährt los, wird sich der unbekannten Materie ergeben. Die Fahrt, das Leben geht weiter, die Frau lässt das Alte hinter sich. Sie will nichts mehr sehen, will einfach nur frei sein und weitermachen. Sie hat nichts mehr zu verlieren, selbst den Tod nimmt sie in Kauf. Und wenn sie auch noch so viele Ängste in sich verborgen haben mag, sie fährt einfach, hört nicht mehr auf die prophetischen Sorgen der anderen, macht weiter, begibt sich schutzlos ins Ungewisse.

Auf dem letzten Teppich Eins des Motivzyklus „Erstickungen“ sieht man ein sich wiederholendes blumenartiges Muster, das bunt ist, sich beim Betrachten gut anfühlt. Darin, fast unsichtbar, eine Frau, die sich wie ein Chamäleon ihrer Umgebung angepasst hat, ein Teil eines Ganzen geworden ist. Versteckt sie sich hinter der Alltäglichkeit? Nein, die Szene wird primär nicht von negativen Gedanken und Gefühlen geprägt – ganz im Gegenteil – endlich wird diese Frau wieder wissen, wohin sie gehört und was sie zu tun hat. Ruhig und gelassen sein, eins mit sich und der Welt. Ganz gleich, ob Ballast noch vorhanden ist, die Traurigkeit, ob sie glücklich oder nur zufrieden ist mit ihrem Leben – mittendrin ist sie angekommen, scheint ruhig und gleichmäßig zu atmen und hat eine positive Sicht auf das, was kommen mag.

Die in der Ausstellung gezeigten Teppiche beschwören einen Kreis, der nun zu einem – sicher vorläufigen - Abschluss gefunden haben mag. Der Titel der Ausstellung „Erstickungen“ ist ein Wortspiel mit den Geschichten, mit dem Erleben, mit Erzählungen und dem Gefühl des Erstickens an all dem Leid einerseits, eine Anspielung auf das Medium Stickkunst und deren Erschließung auf der anderen Seite.

Die Künstlerin und ihre Stickkunst

Was Marie S. Ueltzen am Sticken so begeistert, ist vor allem die vordergründige Harmlosigkeit dieser Technik, denn hiermit kann sie – anders als bei der Malerei - auf eine besondere Weise Geschichten erzählen. So bildet sie immer bescheidene, kurze Momentaufnahmen eines – vielleicht ihres eigenen - Lebens ab, denen sie einen Raum gibt, diese aus dem Ganzen heraushebt. Sie wird zur Anwältin der kleinen Probleme, die für den einzelnen Menschen jedoch auch lebensbedrohliche Züge annehmen können.

Deutlich wird dies bei der neueren Arbeit 1969, einer Mischform aus Malerei und Stickerei. Ueltzen geht vermutlich zurück in ihre Kindheit, in das Jahr der Mondlandung: „Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein Riesenschritt für die Menschheit“, sagte der Astronaut Neil Armstrong, als er die Mondoberfläche als erster Mensch betreten hatte. Während die Menschheit in neue Dimensionen aufbrach, findet sich das kleine Mädchen am Rande wieder, ängstlich lächelnd, geplagt von Albträumen, von Monstern, die ihr Angst machen und die sie schon früh in Kinderzeichnungen festgehalten hat und die nun gestickt auf das Teppich-Gemälde übertragen werden. Vogelbabys werden gefüttert; das schwächste erhält den dicksten Wurm. Das scheint in der Welt des Kindes nicht die Regel, meistens bekämen die Starken alles, die Schwachen gehen unter. So drückt das Kind seine Sehnsucht nach Geborgenheit, nach einer schützenden Hand aus. Das schwache kleine Vogelküken wird nicht aus dem Nest geworfen. Drei Sonnen sind zu sehen: eine blutende, eine mit zusammengebissenen Zähnen und eine hat nur krickelige Strahlen – all das eigene Kinderzeichnungen der Künstlerin aus einem Jahr, die sie nun – über vierzig Jahre später - auf der Leinwand erneut umsetzt.

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Marie S. Ueltzen experimentierte schon immer in vielen künstlerischen Bereichen – als Malerin, als Schauspielerin in Low-Budget-Filmen, als Modegestalterin, Dichterin oder Illustratorin. Die diplomierte Freie Bildende Künstlerin kam durch ihre Vorliebe für textiles Gestalten irgendwann auch zum Sticken. Auf einer Reise in die Normandie entdeckte sie den berühmten Bildteppich von Bayeux, der um 1082 gefertigt wurde. Dieser Teppich ist eines der großartigsten Denkmäler europäischer Geschichte. Auf einer Länge von 70 Metern stellt er Szenen der Überfahrt des Normannen-Herzogs Wilhelm des Eroberers nach England und seines Sieges über Harold II. in der Schlacht bei Hastings 1066 dar.

„Mich faszinierte vor allem,, dass mit einer so harmlosen Tätigkeit wie dem Sticken etwas so Grausames auf so wunderbare, erhabene Art dargestellt werden konnte“, erzählt sie. Seitdem wollte sie auch größer arbeiten. Durch eine befreundete Pastorin bekam sie den Tipp, im Kloster Mariensee bei Hannover den Klosterstich zu erlernen. Ein Jahr später besuchte sie auch das Kloster Wienhausen, wo der Klosterstich im 13. Jahrhundert „erfunden“ wurde. Vornehmlich Nonnen waren es, die sich dieser Arbeit widmeten - nicht zuletzt, um eine zusätzliche Einnahmequelle zu haben, da die Teppiche kostbarer und wertvoller waren als gemalte Bilder; bedingt durch Material und Aufwand. Es waren nicht nur geistliche Themen, die gestickt wurden, sondern auch weltliche. Marie S. Ueltzen machte sich diese Technik zu eigen und setzt heute - neben der Malerei - vielfach ihre malerischen Ideen mit der Klosterstich-Technik auf großen Wandteppichen um.

Während sie einerseits Geschichten ihres Lebens erzählt – behauptet sie zumindest - stickt sie aber auch andere Motive, die durchaus liebevoll sein können, wie die gebrauchsfähige, die Künstlerin selbst begleitende Hundemumientasche - mit dem Titel „Qualis vita, finis ita“ (Wie das Leben, so das Ende) - wieder mit einem Augenzwinkern.

Auch Taschen, sowie Kissen- und Stuhl-Objekte schafft sie mittels der Klosterstichtechnik. So zeigen sechs Kissen als Ensemble Zwei extrem freundliche Koi, die sich wie ein Ying und Yang-Zeichen zueinander gesellen. Als Einzel-Objekt wirkt jedes Element für sich wie ein abstraktes Bild, welches auch nur einfach „schön und gutartig“ sein dürfe und ermuntern solle, niemals den Glauben an das Gute zu verlieren. Ein Schwarm Dorsche wurde zum Motiv zweier Bezüge für restaurierte Fischerstühle der Insel Rügen. Hier arbeitete sie mit der Stuhlgestalterin Kathi Müsebeck aus Bremen zusammen.

Hundemumientasche, 2006 Wollstickerei und Leder, ca. 35 x 45 cm (ohne Henkel)

Dorsche, 2009 Zwei Rügener Fischerstühle mit Sitzbezug (Wollstickerei) Unten links: Dorsche 1, rechts: Dorsche 2

Zwei extrem freundliche Koi, 2010 6-teiliges Objekt,
Wollstickerei auf Kissen mit Füllung, als Ensemble

Während Marie S. Ueltzen unbeirrt ihrer künstlerischen Tätigkeit nachgeht, erledigt sie hin und wieder auch Auftragsarbeiten, wenn sie in ihrer Ideenfindung und Umsetzung ihre Freiheit bewahren kann. So entstanden in den letzten Jahren beispielsweise bislang fünf Paramente zu kirchlichen Themen, die heute dem jeweiligen Anlass entsprechend im St. Petri-Dom in Bremen zu sehen sind. Hier fand sie es spannend, sich mit kirchlichen Themen intensiver beschäftigen zu können, bereitete ihr das Eintauchen in diese Materie Vergnügen. Auch hier bringt sie „Zustände“ in Form, haucht ihnen Lebendigkeit ein und nimmt ihnen so die Schwere.

Drei Fische, 2006 Parament, Wollstickerei, 64 x 40 cm Im Besitz der St. Petri Domgemeinde zu Bremen

Licht und Hoffnung, 2007 Parament, Wollstickerei, 64 x 40 cm Im Besitz der St. Petri Domgemeinde zu Bremen

Meistens sind es persönliche, weibliche Geschichten, die sie mit ihrer künstlerischen Tätigkeit erzählt und dem Betrachter anbietet. Sie erzählt von der Schönheit des Lebens, der Schönheit von Leben und Tod – aus weiblicher Sicht. Sie macht die kleinen unwichtigen Momente bedeutsam und gibt all den „Kümmernissen“ einen Raum, verdrängt nichts. Und wenn sie sich getrieben fühlt, wenn Motive „ganz schnell“ umgesetzt werden sollen, malt sie. So entstehen Bilder von toten Tieren (Totes Känguru), die in ihrer anschaulichen Ästhetik verblüffen.

Totes Känguru, 2008 Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm

Abholung des Leichnams MM 9. August 1962, 2009 Acryl auf Leinwand, 3-teilig, je 18 x 24 cm

Zwei extrem freundliche Koi, 2010 6-teiliges Objekt, Wollstickerei auf Kissen mit Füllung, als Ensemble

Die Abholung des Leichnams von Marilyn Monroe inmitten gleichgültiger Sträucher beeindruckt sie so sehr, dass sie dieser Szene – ausgehend von einer Fotografie – ein dreiteiliges Bild (Abholung des Leichnams MM : 9.August 1962) widmet. Ein nahezu traumatisches Kindheitserlebnis – das Einbrechen im Eis und beinahe plötzliche Abtauchen unter die Eisscholle des zugefrorenen Teichs, aus dem sie gerettet wurde, setzt sie in dem Bild Ich mit 5... malerisch um und nutzt Stearin, um eine eisige Oberfläche zu schaffen. Ein anderes, zweiteiliges Werk zeigt zwei Schwäne, die durch die Luft fliegen - mit blutunterlaufenen Augen (Zwei Schwäne mit entzündeten Augen).

Auch wenn sie die Grausamkeit des Alltags, des Lebens abbildet, tut sie es so, dass nicht der Schock moment im Mittelpunkt steht. Die Grausamkeit spielt sich im persönlichen Empfinden ab. Ganz im Inneren eines Menschen. Bereits ein unscheinbarer Anlass, ein unachtsam gesprochenes Wort kann eine große Verletzung sein, kann gar eine Katastrophe auslösen.

Der Tätigkeit des Stickens kann sie fast überall, an jedem Ort nachgehen. Hierfür braucht sie kein Atelier.  Das Sticken ist eine ruhige, meditative Arbeit, die der aufwühlenden Ideenfindung, der Motivsuche folgt; ein „Vorhof zur Ewigkeit“, wie sie es selbst ausdrückt. Das Motiv steht, wird auf Leinwand oder einen anderen Stoff übertragen, bevor es an das „Ausfüllen der Flächen“ geht. Nun dringt sie bei ihrer Arbeit ganz in die Farben ein, in ihre Motive und verbringt viel Zeit mit ihnen. Stich um Stich werden Teile einer Geschichte fest zusammengefügt, begleitet von dem gleichmäßigen Geräusch des Fadens, der durch den Untergrund seine Bahnen zieht. Sie nutzt die Möglichkeit, sich einen besonders langen Aufenthalt in diesen Formen zu gönnen und dabei ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. 

Das Sticken selbst ist weiblich und so sprechen ihre Motive auch eine weibliche Sprache. Und Marie S. Ueltzen liebt die extreme Weiblichkeit, hat Freude an den eigenen Attributen und der Hervorhebung derselben. Denn im Leben geht es auch um die Lust, das Verlangen nach mehr. Beim Sticken, beim Malen, ebenso beim Verfassen von Texten und Gedichten – überall kann sie sich auf unterschiedliche Weise ausdrücken.

Während das Sticken einen stark konstruierenden Charakter hat, da Motive sich während des Stickens kaum mehr verändern können, ist für sie die Malerei eine Form, in der sie sich spontan ausleben kann – was nicht gefällt, wird übermalt, Farben können verändert werden, ebenso die Formen. Die Malerei bildet fast schon ein Kontrastprogramm zu ihrer Stickkunst. Dennoch gehört für Marie S. Ueltzen alles zusammen, so, wie die Kunst zu ihrem Leben gehört. Und so wird sie auch weiterhin Geschichten mit der Nadel malen

© Copyright 2022 Marie S. Ueltzen