Marie S. Ueltzen
BLANK

Wovor fürchtet man sich mehr:

Vor der Leere oder vor der Fülle?

Im Zentrum eines gigantischen Innen, falls du es öffnest, erkennst du ein unheimliches Urwesen. 

Es ist das sonst unsichtbare Seelentier.

Aus ihm ist alles entstanden, mit ihm wird alles vergehen.

Es kann sich vergrößern durch Aufblasen eines grauen Kragens aus Haut.

Falls du zur Unterdrückung deiner wirklichen Wünsche

mit einem scharfen Messer aus dem Sortiment des Schmerz-Operations-Sets

den Kern deiner bisher unerhörten Fragen auseinanderschneidest,

verleugnest du das für dich wirklich Notwendige.

Je mehr du deine Pein zerteilst,

noch einmal und noch einmal,

wird deine Verwundung am Ende wie bei einer Atomspaltung

als gigantischer Riesenschmerz implodierend Kraft entwickeln

und dein Innerstes vernichten.

Der Explosionspilz wird, falls er unbeachtet bleibt,

dich in ein Nirwana aus Irrsinn treiben,

als Ergebnis der eigenen Dauer-Verleugnung.

Die Panik kreist als kolossales Schrillen

im Ohr, im Kopf, im ganzen Körper, in deinem Haus,

in deinem Garten, an der Straße, über dem Ort in die Städte,

in den Himmel und in das All bis in die schwarzen Löcher hinein.


Du weißt alles, du weißt nichts.

Du siehst alles zum ersten Mal.

Und danach nie wieder.

Du wirst neue Szenarien entwickeln aus neuen Unterlassungen.

Alles, was du geliebt hast, stirbt einen schmerzhaften einsamen Tod,

denn durch das Vorbei des liebevollen Betrachtens

ist ein weiteres schwarzes Loch entstanden,

das dich hineinzieht in den Kummer des Entzuges.

Im Innersten bist du dieses apokalyptische Urviech,

mit Schmerz-Kern, eigentlich arm- und beinlos,

aus dessen Anus, immerhin,

die Angstwürmchen hinausgeleiten rundherum im Wirbel des Dauerschrecks.  

Zentrifugal trudeln Brocken,

bunt am Anfang, schwarz werdend und teilweise sich entzündend,

hier hustet die Materie,

bis sie würgt.

Lianenarme umschlingen, könnten trösten und beschützen,

erzählen hier jedoch von eitrigen Wunden und wie unter Folter sich lösenden Fingernägeln,

von Armen aus Armen,

die die Lebensgeschichte der Menschheit aufzeigen,

als blasses Tattoo hineingenadelt.

Am Ende ist dieser Erzählstrang schon tot.

Das Allumfassende sticht stachelig nach innen:

Statt Schutz ist nur Selbstverletzung möglich.

An anderer Stelle wächst das Sehende, allerdings in einem Anfall von Sauerstoffmangel sich erstickend nach außen windend, ohne zu sehen.

Was aus dir selbst kommt, bedroht dich selbst.

Was du liebst, ist direkt vor dir und das macht die Angelegenheit nicht besser.

Dein Schrecken ist der Antrieb für alles Lebendige.

Atmet das All gerade ein oder aus?

Alles ist eine Sache der Perspektive.

Marie S. Ueltzen, Blank, 2022

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